Teil 1: Wie alles begann - Von Detroit nach Bermuda!
Im Jahre 1966 kam ich in die USA, um in der Automobilindustrie von Detroit nach Arbeit zu suchen. Ich hatte in England als Fahrzeugingenieur für Ford gearbeitet und brachte meinen selbstgebauten GT-Rennwagen mit. Ich fand Arbeit bei Ford in Dearborn, im Bundesstaat Michigan und blieb 6 Jahre dort. In England hatte ich nie ein eigenes Boot besessen, aber ich hatte oft gechartert und Fahrten entlang der Englischen Küste, nach Dänemark und Südfrankreich unternommen. Meine ersten Versuche im Einhandsegeln unternahm ich an der Ostküste, als ein Crewmitglied nicht rechtzeitig anreisen konnte. Eine lehrreiche Erfahrung.
In Amerika verdiente ich mehr und konnte mir ein eigenes Boot leisten. Nach dem Besuch eines Rugby-Spiels in Detroit unterhielt ich mich mit Hugh Rugeroni, der Flügelspieler für Windsor gewesen war, über das Segeln. Er war seit kurzem der für Detroit zuständiger Vertriebspartner von Hinterhoeller und ich wurde im Frühjahr 1968 sein erster Kunde, indem ich die Shark mit der Segelnummer #480 kaufte. Sie wurde von der Werft in Port Colbourne zu Wasser gelassen und von Hugh, Dennis Carrol und mir nach Detroit überführt. In den darauffolgenden vier Jahren unternahm ich vom Detroit River aus Fahrten und nahm an Regatten teil. Ich wurde Mitglied im La Salle Mariners Yachtclub, um an Klassenregatten auf dem St Clair See sowie an MORC Regatten an verschiedenen Orten teilzunehmen. La Salle wurde von Curley Ellis und Juergen Hendel geleitet, die seinerzeit Metro Motors in Windsor betrieben.
Im Jahre 1972 juckte es mich wieder, auf Reisen zu gehen, und ich war noch ledig, sodaß ich bei Ford kündigte, um mich dem Fahrtensegeln zu widmen. Aber erst einmal wollte ich mir die USA anschauen und fuhr 6000 Meilen in meinem selbstgebauten Auto durch den Westen. Nachdem ich zurück in Detroit war, bereitete ich das Boot für das Hochseesegeln vor. Hinterhoeller riet mir, das Rigg zu verstärken und verkaufte mir einen Mast mit stärkerem Querschnitt und ohne Oberwanten (möglicherwise ein HR 25 oder Viking 28 Profil). Ich ließ eine hydrostatische Windfahnen-Selbststeuerung anfertigen, die eine Trimmklappe am Ruder ansteuerte. Ich besorgte mir einen 4 PS Johnson Außenbordmotor und ein 9 Fuß Avon Schlauchboot vom Typ Redcrest. Die 4 PS sollten entweder die Shark oder das Dinghy antreiben. Damals waren auf der Shark Bordtoiletten mit Kugelventil-Rumpfdurchlass üblich, sogar auf den Großen Seen. Die Kombüse bestand aus einem halbkardanisch aufgehängten Primus-Kocher und einem zweiflammigen propanbetriebenen Campingherd. Jetzt war alles klar für die Reise entlang des Erie Sees, quer durch den Staat New York und den Hudson Fluss hinunter.
Es war bereits Oktober, als ich fertig zur Abreise war und der Winter brach mit den ersten Schneefällen ein, sodaß ich meine Pläne ändern mußte. Ich lieh mir Curley’s dreiachsigen Shark-Trailer und einen Pick-Up und fuhr mit 100 Km/h Richtung Chesapeake. Ich verbrachte eine sehr komfortable Nacht am Straßenrand in der Shark.
Ich fand eine sehr nette Marina in Yorktown, pallte das Boot an Land auf und fuhr mit dem Trailergespann zurück nach Detroit. Ich kam erst nach Weihnachten wieder nach Yorktown und fand Alles eingeschneit vor.
Der Besitzer der Marina wollte nicht das Risiko eingehen, den Bootskran samt Boot im Wasser zu versenken, sodaß ich mich eine Woche gedulden mußte, während ich in der Shark an Land schlief. Nachts sanken die Temperaturen auf -12° C und ich heizte die Kabine mit dem Primus Kocher während ich alle Luken dicht verschlossen hielt. Auf diese Weise stellte ich fest, daß man eine Menge Sauerstoff in einem abgeschlossenen Boot verbrauchen kann. Der Primus verlöschte immer nach einer Weile, bis ich auf die Idee kam, eine Luke halb geöffnet zu lassen!
Anfang Januar brachte ich das Boot endlich zu Wasser und segelte die Chesapeake Bucht entlang nach Norfolk zum Great Dismal Swamp Kanal [Great Dismal Swamp: Großer trostloser Sumpf, Anm. d. Übers.]. Bei einbrechender Dunkelheit wurden das Boot und ich aufgeschleust, und ich mußte feststellen, daß der Süßwasserkanal komplett von einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt war, soweit das Auge reichte. In dieser Nacht schlief ich, wie seinerzeit Shackleton, vom Knarzen des Eises umgeben und am nächsten Morgen machte ich mich daran, das Boot als Eisbrecher einzusetzen. Ab und zu verfingen sich Eisbrocken im Propeller des Außenborders, aber ansonten kamen wir prima klar. Ich hatte Angst, daß das Eis das Boot entlang der Wasserlinie allmählich entzwei sägen würde, aber es entstand keinerlei Schaden. Das Eis erstreckte sich zum Glück nur über wenige Kilometer.
Dies war der Beginn einer sehr schönen aber witterungsbedingt etwas übereilten Reise entlang des Intracoastal Waterways mitten durch die Geschichte von Amerikas Küste. Ich fuhr abwechselnd unter Segeln und unter Motor bis nach Miami. Ich traf unterwegs einige sehr nette Leute aus Vermont. Es stellte sich heraus, daß Marcias Mutter ein Haus mit Bootsliegeplatz entlang eines Kanals in Coral Gables besaß, welches ich als Ausgangsbasis für meine Unternehmungen verwenden durfte. Einige Wochen nach unserer Ankunft in Miami fuhen Peter und Marcia in ihrem hölzernen Klassiker und ich in meiner Shark zu den Bahamas hinüber, wo wir einige Monate verbrachten. Ich nutzte die Gelegenheit, meinen neuen Sextanten sowie die Selbststeueranlage auszuprobieren und war mit beiden zufrieden.
Bei meiner Rückkehr nach Miami nach zwei Monaten sehr schönen Fahrtensegelns in den Bahamas entschied ich mich endgültig, Richtung England zu segeln. Ich hatte die Sache bereits seit einiger Zeit im Kopf gehabt. Die bisherigen Fahrten hatten mein Vertrauen in das Boot gefestigt, vorausgesetzt, daß ich das Wasser draußen halten konnte, und die Experimente mit meiner selbstgebauten Windfahnen-Steuerung waren erfolgreich verlaufen.
Die nächsten zwei Monate verbrachte ich in der Gastfreundschaft von Harriett Mitchell in Coral Gardens, wo ich das Boot abdichtete und die Selbststeuerung optimierte. Unter anderem fertigte ich eine Art Brückendeck in Form einer Backskiste im Cockpit an, um das Avon Beiboot darin zu verstauen. Hierdurch wurde das Cockpit-Volumen halbiert. Ich dichtete sämtliche Luken ab, modifizierte das Achterstag, um der Windfahne Raum zu geben und um es als Antenne zu verwenden. Darüber hinaus fertigte ich ein dickeres, balanciertes Ruder an und wechselte die Mechanik der Selbststeuerung aus. Ende Juli war ich endlich bereit zur Abreise – ein Monat später als erhofft und zwei Monate später als wettertaktisch ideal. Die Gefahr tropischer Wirbelstürme nahm ständig zu, während das Wetter am anderen Ende der Reise mit dem Einsetzen des Herbstes stetig immer schlechter werden würde.
Ich stopfte die Bilgen unter den Kojen voll mit Konservendosen und großen Wasserflaschen (insgesamt mehr als 50 Liter) und sagte Adieu zu dem roten Streifen, welcher meine Wasserlinie markiert hatte und der nun unter der zunehmenden Beladung langsam versank. Ich gab ungefähr 120 US $ für Proviant aus und bekam noch einmal denselben Gegenwert von meinen großzügigen Gastgebern. Sie gaben mir auch mehrere Überraschungspakete mit, dazu bestimmt, „irgendwo auf dem Atlantik“ aufgemacht zu werden, und die sich noch als wahre Stimmungsretter erweisen sollten. Ich hatte weitere 60 Liter Wasser in Behältern dabei, sodaß ich insgesamt auf über 110 Liter kam.
Am frühen Morgen des 1. August 1973 machte ich mich auf, die Bucht von Biscayne zu queren. Ich war entsetzt über die Trägheit, mit der das Boot in die Wellen eintauchte. Sie fühlte sich eher an, wie ein schwerbeladener Frachtkahn als wie die lebendige Shark, die ich gewohnt war. Unter Deck waren die Kojen vollgestapelt mit Kisten und Taschen, die noch verstaut werden mussten. Nachdem ich endlich alles weggepackt hatte, blieben erstaunlicherweise noch 1 ½ Kojen frei. Schnell merkte ich, daß ein Vorteil der schweren Beladung darin bestand, daß alles sehr tief untergebracht war, sodaß sich das Boot in einer Brise deutlich steifer verhielt als früher. Ich brach mit gemischen Gefühlen auf. Einerseits erfüllte mich das Unbekannte mit Sorge, andererseits war ich froh, endlich unterwegs zu sein. Außerdem freute ich mich wirklich auf die Ankunft in Bermuda!
Die nächsten acht Tage verbrachte ich mit nahezu perfektem Segeln (durch das Teufelsdreieck!). Mit einer stetigen Südost-Brise von Steuerbord legte ich auf Halbwindkurs in den ersten drei Tagen Etmale von 142, 132 und 140 Meilen zurück, während die Selbststeueranlage die ganze Zeit das Ruder führte. Ich genoß tagsüber Sonnenschein und blauen Himmel, die Nächte waren hingegen kühl. Nach der ersten Nacht, in der ich die Bahamas umrundet hatte, um auf Nordost-Kurs zu gehen, schlief ich gut an Bord. Es war verwirrend, aus einem bewegungslosen Traum aufzuwachen, um festzustellen, daß ich ohne jeglichen Ausguck mit 6 Knoten Fahrt unterwegs war. Ich verließ mich auf meinen selbstgebastelten Radarreflektor. Während dieses Reiseabschnitts machte ich meine ersten Erfahrungen mit seemännischer Kameradschaft. Die „Ore Jupiter“, ein Frachter von 10.000 Tonnen, fuhr einen Vollkreis um mich herum, um sicherzugehen, daß bei mir alles in Ordnung war – sehr beruhigend.
Nun ging es an meine erste ernsthafte Navigation. Ich hatte in den Bahamas mit dem Sextanten herumgespielt und festgestellt, daß es bei ruhiger See relativ einfach war, die Sonne reproduzierbar zu schießen und mit täglicher Übung ging es mir immer zügiger von der Hand. Für die Bestimmung der geografischen Länge benutzte ich eine morgendliche Messung, während dich zur Mittagszeit eine Breitenbestimmung vornahm. Obwohl ich die Genauigkeit meiner Positionsbestimmungen nicht durch Sternen-Sichtung überprüfte, gelang es mir, während der gesamten Strecke bis zu der unmittelbar südlich von Bermuda gelegenen Argos Insel nicht weiter als 20 Meilen von der Loxodrome abzuweichen. Ich segelte mehr als 900 Meilen am Stück auf Backbordbug, weshalb die Konservendosen auf der Steuerbordseite nicht rosteten, obwohl gelegentlich Salzwasser durch meinen umgebauten Vorstagsbeschlag leckte. Das niedrigste Etmal betrug 80 Meilen.
Als ich mich Bermuda näherte, mußte ich kräftig anluven, um meinen Kurs zu halten. Hart am Wind sprang das Boot von jeder Welle und schlug mit lautem Krachen auf, sodaß ich nachts die Schoten fierte und etwas abfiel, um wenigstens ein Bißchen Ruhe zu haben. Der Leuchtturm von Argus Island tauchte zur erwarteten Zeit am erwarteten Ort auf und am 9. August segelte ich die Südküste Bermudas bei strahlendem Sonnenschein entlang und fühlte mich prima, während ich ein großes Frühstück zu mir nahm. Wenn ich so weitersegeln könnte, würde ich Mitte September in England sein.
Als ich in die enge Zufahrt zum Hafen von St. George’s hineinsegelte, kam mir ein großes Kreuzfahrtschiff entgegen. Ich machte an der Ordonance Insel im Stadtzentrum von St. George’s fest und überrüfte das Boot und die übrige Ausrüstung auf Schäden. Ich konnte keine Probleme entdecken. Das Unterwasserschiff war noch immer unbewachsen. Ich machte mich daran, den Vorstagsbeschlag abzudichten sowie weitere Änderungen vorzunehmen, um das Boot „Hurricane-sicher“ zu machen. Ich brachte Netze an, um lose Gegenstände in den Schapps zu halten, verschraubte die Abdeckungen der Staufächer unter den Kojen und brachte verschiedene Laschen an, um alles festzuschnallen, was sich nicht irgendwo einkeilen ließ. Ich wollte eine Kenterung überstehen, ohne daß Ausrüstungsgegenstände und Ballast herumflogen.
Vor meiner Weiterreise wollte ich noch etwas von Bermuda sehen. Ich nahm den Bus nach Hamilton, der Hauptstadt am anderen Ende der Insel. Bermuda ist eine Gruppe von einzelnen Inseln, die untereinander durch Brücken verbunden sind, sodaß man überall Meerblick hat. Jeder Quadratzentimeter scheint bebaut zu sein, bis auf zwei oder drei landwirtschaftlich genutzte Fächen von der Größe eines Rugby-Feldes. Jedermann, ob schwarz oder weiß, war sehr freundlich zu mir, auch wenn dies nicht für die Beziehungen untereinander galt. Unter den älteren Weißen sah ich Gebräuche und einen Bekleidungsstil, wie sie in England vor 50 Jahren üblich gewesen sind.
Ich traf einen Amerikaner, der 65 Tage gebraucht hatte, um von England nach Bermuda zu gelangen. Er war im Juni aufgebrochen und hatte auf der gesamten Reise nur schwache Winde vorgefunden. Er gab mir einen Stapel Taschenbücher für den Fall, daß mich dasselbe Scicksal ereilen sollte.
Am 13. August füllte ich in der Frühe meine Wasservorräte auf und verließ St. George’s Richtung England. Als ich die Zufahrt verließ, kam mir dasselbe Kreuzfahrtschiff entgegen. In vier Tagen war es nach New York und wieder zurück gefahren!
Links:
Homepage der Deutschen Shark-24 Klassenvereinigung e.V.
Homepage der Kanadischen Shark-24 Klassenvereinigung.
Homepage der Internationalen Shark 24 Klassenvereinigung.
Homepage von Mr. Shark & Sohn (Bodo Günther Marinedepot).
Widmung: Diese Website ist für Jupp Geiermann.